Eine Künstlerin der „Verlorenen Generation”:
von Dunkelheit und Angst zu Licht und Hoffnung
„Ich glaube an das Gute und Geistige, das Freie, Wahre, Kühne, Schöne und Rechte, mit einem Wort an die souveräne Heiterkeit der Kunst, dieses grosse Lösungsmittel gegen Hass und Dummheit.“ Thomas Mann
Es ist eine Entscheidungsfrage: in der Dunkelheit zu verharren, oder Licht zu kreieren.
Alice Pairan entschied sich, Licht in eines der dunkelsten Kapitel der Menschheitsgeschichte zu bringen. In dieser Entscheidung liegt ihr Vermächtnis als Künstlerin, als Frau, und als Mutter. Sie war stets bestrebt, das Schöne hervorzuheben in der dunklen Welt die sie umgab, als Schönheit nahezu vergessen schien.
Alice Pairans Lebensgeschichte bezeugt die Bedeutung ihres Mottos von Thomas Mann. Geboren 1911 in Frankfurt am Main war ihre Kindheit geprägt von den katastrophalen Auswirkungen des Ersten Weltkrieges.
Ihr Vater Wilhelm war ein höchst talentierter und passionierter Violinist, dessen Ambitionen und musikalische Karriere nur kurz andauerten, da er den Familienbetrieb, das Ausflugsziel “Wilhelmshöhe” nach dem Tod seines Vaters übernehmen musste. Diese auferlegte Trennung von seiner künstlerischen Kreativität hinterliess eine stete Melancholie. Alices Mutter Katharina, einst vom Juke Box und Orgelunternehmer Farny R. Wurlitzer umworben, hatte eine führende Position in der deutschen Niederlassung der Triumph Cycle Company inne und sorgte für einen ausgewogenen Pragmatismus; sie diente der Tochter ausserdem als Vorbild einer tatkräftigen, berufstätigen Frau.
Das musische Interesse der Eltern war ein wichtiger Einfluss auf Alices künstlerisches Talent. Obwohl Alice ein kleines Kind war, spürte sie die Folgen des Ersten Weltkriegs auf ihre Familie, der schliesslich in der Niederlage Deutschlands und dem Vertrag von Versailles endete.
Trotz der angeschlagenen Wirtschaft wuchs Alice in diesen schweren Jahren zu einer intelligenten, strahlenden und schönen jungen Frau heran, die das Negative bewusst ausblendete und sich auf das Positive konzentrierte. Diese Tendenz wurde später in ihrem künstlerischen Ausdruck deutlich. Nach Abschluss der Schule wollte Alice, ein Einzelkind, Schauspiel studieren – eine Entscheidung, von der ihre Eltern abrieten. Als Kompromiss entschied sie sich für Bildende Kunst und wurde 1931 in die begehrte Frankfurter Städelschule aufgenommen, um Malerei und Batik- / Textildruck zu studieren.
Als Studentin war Alice von den vielen Inspirationen an der Städelschule erfüllt und probierte sich in einer Reihe von Disziplinen. Ihre Professoren erkannten ihr außergewöhnliches Talent und wählten sie aus, um unter der Schirmherrschaft des renommierten Malers Dr. Willi Baumeister zu studieren. Baumeisters Karriere an der Städelschule und seine Mentoren-Rolle für Alice wurden jedoch von den Nazis vorzeitig abgebrochen und er musste 1933 seinen Posten verlassen.
Trotz dieses Rückschlags ging Alice weiter ihren Weg und setzte ihre Ausbildung unter einer anderen wichtigen Persönlichkeit fort: Professor Franz Karl Delavilla, mit dem sie ihre künstlerischen Fähigkeiten weiter ausbaute, indem sie ihr Spektrum um Tempera, Aquarell, Lithographie und Mischtechnik erweiterte.
Nach ihrem Studienabschluss 1935 zog Alice in ihr Elternhaus zurück und arbeitete im eigenen Atelier. Sie verlobte sie sich mit Kurt Hauser, Inhaber einer Druck- und Bürobedarfsfirma, mit dem sie eine starke romantische Bindung eingegangen war und die beiden heirateten zwei Jahre später und sie nahm den Namen Alice Hauser-Pairan an.
Es waren beunruhigende Zeiten: Deutschland erlebte den unaufhaltsamen Aufstieg von Adolf Hitler, der Zweiten Weltkrieg initiierte. Alices Möglichkeiten verringerten sich während des Krieges weiter, da ihre Eltern nicht der NSDAP beitraten und sich weigerten, ein „Juden nicht willkommen“-Schild über der „Wilhelmshöhe“ anzubringen. Dies führte zu ständigen Verdächtigungen und Belästigungen der Behörden. Trotzdem malte Alice weiterhin mit grosser Leidenschaft und produzierte in diesen dunklen Zeiten ein beachtliches Werk.
Zwei Jahre nach Beginn des Zweiten Weltkriegs brachte sie 1941 ihr einziges Kind, Ursula, zur Welt. Die Unsicherheiten des Krieges zwangen Alice und ihre kleine Tochter bei ihrer Tante im ländlichen Allendorf/Westfalen einzuziehen, weit entfernt von dem ihr bekannten Stadtleben. Dort entdeckte sie neue Motive für ihre Kreationen. In dieser abgeschiedenen Umgebung etablierte sie sich als ernstzunehmende Künstlerin und tauschte ihre Gemälde gegen Lebensmittel und Kleidung.
Während Alices Aufenthalt in Allendorf wurde ihr Atelier in Frankfurt mitsamt ihren Gemälden bombardiert und brannte ab. Somit gingen alle ihre bis 1943 produzierten Arbeiten verloren. Darüber hinaus überlebte ihre Ehe mit Kurt die lange physische Trennung, verschärft durch seine schlechte Gesundheit und die Strapazen des Krieges, nicht. Als alleinerziehende Mutter, mit wichtiger Kunsterfahrung und erprobter Widerstandsfähigkeit, kehrte Alice am Ende des Krieges nach Frankfurt zurück. Der Familienbesitz „Wilhelmshöhe“ war mittlerweile von US-Truppen beschlagnahmt worden. Innerhalb eines weiteren Jahres verlor sie beide Eltern.
Trotz dieser Schwierigkeiten hielt Alice an ihrem Weg fest und ihre Kreativität stieg exponentiell an. Unermüdlich innovativ, erfolgte ihr Einstieg in die internationale Kunstszene 1948 mit der Präsentation von 15 Werken auf einer Ausstellung in Darmstadt. Von dort wurde ihre Karriere beflügelt.
Viele ihrer Inspirationen stammten von häufigen Reisen und Erkundungen, immer ihr Skizzenbuch zur Hand, in dem sie neue Sujets und Atmosphären einfing. In ihrer Heimatstadt war das Opernhaus eines ihrer Lieblingsmotive und sie trug durch ihre prämierten Werke bei Sonderausstellungen zu dessen Wiederaufbau bei.
In den folgenden drei Jahrzehnten war Alice Pairan von Galerien aus Deutschland bis in den Nahen Osten gefragt. Neben Deutschland stellte sie in Italien, Paris, Lyon, Prag, Athen, Rom und Beirut aus. Darüber hinaus erhielt sie zahlreiche Preise, darunter mehrere auf der Ancona Biennale und Annuale. Bis in die 1970er Jahre hinein erschuf sie neue Werke, stellte aus und arbeitete mit Avantgarde-Künstlern wie Walter Hanusch zusammen, während sie mit dem Malerkollegen Fritz Winter in Kontakt blieb und junge Talente unterrichtete. Alice wurde zu einem Pfeiler der Frankfurter Kunstszene. Sie veranstaltete Salons für Kunstliebhaber, förderte insbesondere Künstlerinnen und unterstützte unermüdlich die Rolle der berufstätigen Frau durch Zonta International.Sie starb 1979 im Alter von nur 68 Jahren. Ein Gedenkkalender ihrer Arbeit wurde im folgenden Jahr veröffentlicht.